Brutsaison der Vögel / Nester voller Egoisten / Geschwister werden übervorteilt / Eltern werden erpresst
Von Claus M. Schmidt
Mit Hochtouren bereiten sich unsere Vögel auf die Brutsaison vor. Eine harte Zeit für Vogeleltern, denn die Sprösslinge sind wirklich unersättlich und sie haben ein paar Tricks auf Lager, um ihre alten Herrschaften auf Trab zu bringen.
Kaum neigt sich die harte Winterzeit zu Ende, kämpfen auch schon die ersten Singvögel mit ihren Nachbarn um Reviere und Gatten. Ein Kampf, der auch die heimkehrenden Zugvögel nach ihrer langen Reise fordert. Ist das Brutrevier erobert, ein Partner vor anderen Rivalen gesichert, das Nest gebaut, fangen die Weibchen an, ihre Eier zu legen. Stück für Stück – meist jeden Tag ein neues bis das Soll erreicht ist. Erst dann beginnt das Brüten. So stellen Vogeleltern sicher, dass die Jungen sich in den Eiern gleich schnell entwickeln – und dass sie entsprechend gleichzeitig schlüpfen. Denn ein Nesthäkchen, das nur ein bis zwei Tage nach den Geschwistern aus dem Ei schlüpft, hätte keine Chance, sich gegenüber den größeren zu behaupten. Es würde verhungern. Denn Vogelküken sind absolute Egoisten, Profis im Ergattern von Nahrung und furchtbar rücksichtslos – so süß sie uns auch erscheinen mögen. Die Eile hat ihren guten Grund. Denn flugunfähige Jungvögel im Nest, sind ein wahrhaft gefundenes Fressen für Räuber. Eichhörnchen räumen Nester leer, Marder, Wiesel, Raben, Elstern, Eichelhäher – alle haben einen Riesenappetit auf zarte Küken. So müssten die sich eigentlich still und unauffällig verhalten, um ja nur nicht auf zu fallen, sollte man denken. Ein Irrtum, wie Verhaltensforscher erkannt haben. Mit dem Geschrei setzen Küken ihre Eltern unter Druck, die Schnäbel ständig zu stopfen, damit die Jungen endlich still sind. Es ist eine Art von Erpressung, mit denen die Kleinen ihre Versorger zu Höchstleistungen antreiben. Täglich nehmen die Jungen ihr eigenes Körpergewicht an Futter zu sich. Für Amseleltern heißt das, innerhalb von einem Sommer 60 Pfund Würmer zu sammeln. Und dazu kommt noch die Menge, die sie für sich selbst brauchen. Da zählt jede Stunde des Tages. Kein Gedanke an eine 35-Stundenwoche etwa. Vom ersten Tageslicht bis zum Sonnenuntergang sind sie beschäftig. Im Lauf des März sind das 70 bis 80 Stunden pro Woche. Bei so viel Mühe dürfen sich die Eltern aber auch über ein stetes Wachstum ihrer Kinder freuen. Nach dem Schlüpfen wiegt ein Rotkehlchen 2 Gramm, nach 11 Tagen ist es bereits fast ausgewachsen und bringt 20 Gramm auf die Waage. Nur die Federn brauchen noch etwas Zeit, bis sie fertig sind für die ersten Flugübungen. Große und wehrhafte Vögel lassen sich mehr Zeit mit dem Flüggewerden. So benötigt ein Steinadlerküken 70 Tage bis es ausgewachsen ist. Adler und andere Großgreife treiben es besonders brutal. In einem der Wissenschaft als „Kainismus“ bekannten verhalten, tötet das größere der beiden Geschwister das kleinere, wenn es zu ernährungsmäßigen Engpässen kommt.
Schaut man mal in die Kinderstube junger Singvögel, erblickt man meist nur riesengroß aufgesperrte Schnäbel. Die gehen nämlich schon weit auf, so lange die Jungen noch blind sind. Reflexhaft, wenn eine Erschütterung am Nest, ein Schatten oder Geräusch bedeuten könnte, dass die Eltern „vom Einkauf“ zurück sind. Dann heißt es nämlich: Wer zuerst kommt schluckt zuerst. Die Portionen, die im Vogelschnabel Platz haben, reichen nämlich jeweils nur für ein bis zwei Küken und die anderen gehen bei jeder Runde leer aus, haben erst beim nächsten Besuch wieder eine Chance. Der Wettbewerb unter den Nestgeschwistern hat dazu geführt, dass die Schnabel-Innenseite im Lauf der Evolution immer farbenprächtiger wurde. teils leuchtend rot, blau oder mit markanten farbigen Punktmustern als Kontrast. All dies dient dem Ziel, möglichst aufzufallen und besser bei der Verteilung weg zu kommen. Verhaltensforscher der Universität Bielefeld stießen beim Vergleich von Mustern im Kükenschnabel noch auf einen weiteren Aspekt: Es ist nämlich erstaunlich, dass all die Arten, die häufig von Kuckucks besucht werden, stärker gemustert sind, als solche Arten, die selten bis nie mit Kuckuckseiern beglückt werden. Nach der Theorie der Forscher versuchen sich manche Arten also, vor den ungebetenen Gästen mit einem Schlüssel-Schloss-System zu schützen. Versuche haben gezeigt, dass der Instinkt zum Füttern nur ausgelöst wird, wenn das richtige Rachenmuster beim Sperren zu Tage tritt. Pech für die Arten, die sich so vor Brutparasiten schützen wollen: Auch die Kuckuckskinder haben inzwischen die Rachenmuster ihrer Wirte imitiert. Und manche machen es sogar so gut, dass die genarrten Vogeleltern der Fälschung so sehr auf den Leim gehen, dass sie ihre eigenen Küken links liegen lassen und nur das Kuckuckskind versorgen.
Rubrik |
animal.press / Zu 4000 Tierstorys / Schmidts Tierleben / Schmidts Tierleben |
Dok. Autor |
|
Dokument ID |
55581 |
Eigenschaften |
24KB , DOC |
Copyright |
Kein Model Release; |
bird,
egoisten,
ft092,
küken,
nest,
nestlinge,
s0616,
schmidts tierleben,
vogel,
vogelküken,
vogelnest,
vogelnester