Mit der Seilbahn durch den Regenwald / Ein einmaliges Projekt vereint
Tourismus und Regenwaldschutz / Ein Tropenbiologe entwickelte den Zugang
zu den „Hängenden Gärten“ Touristen werden leise, wie in einer Kathedrale
Von Claus M. Schmidt Die Gondel schwankt und zuckelt und ein bisschen
haben wir das Gefühl, wir steigen in ein Ruderboot. Das Gefährt hat auch
in etwa die Dimension. Sechs Passagiere passen auf die drei Holzbänke. Als
alle Platz genommen haben, schließt der Guide die Tür und ab geht die
Fahrt. Stille empfängt uns im Grün und die fernen Rufe einer Horde von
Brüllaffen klingt wie das Rauschen des Windes in den Baumkronen. Nässe vom
letzten Schauer platscht und rinnt über die Blätter dem Boden zu. Weil es
dennoch angenehm warm ist, hier im Hochland von Costa Rica, haben wir den
Guide gebeten, trotz des Wassers von oben das Faltdach der Gondel zusammen
zu legen. Wir wollen hier in einer der regenreichsten Regionen der Erde
auf das Cabrio-Feeling nicht verzichten. Außerdem ist es ja nur für 90
Minuten und außerdem können wir ja immer noch dicht machen, wenn’s ärger
kommt. Der jetzige Niederschlag gilt hier nicht als regen „Katzenhaar“
heißt er treffend und ist auf der Skala zwischen diesiger Luft und
Wolkenbrüchen irgendwo in Nebelnähe eingestuft. Kein Grund also, den
Schirm aufzuspannen. Hier am Rand des Braulio Carillo Nationalparks, nur
40 Autominuten von der Hauptstadt San Jose, ist die Tropenwelt noch in
Ordnung. Jahrhunderte alte Baumriesen überragen das Waldrelief, von ihren
Ästen wabern meterlange Flechtenbärte, ein Geflecht von Lianen und grünen
Ranken verbindet die Wipfelwelt. „Escalier de mono“, Affentreppe heißt
eine Lianenform, die tatsächlich in Stufen verläuft. Irgendwann einmal
waren das aber keine Stufen, sondern Wendel, die einst einen Ast oder Baum
umschlossen. Der ist inzwischen längst abgestorben und von Termiten,
Pilzen und Bakterien zersetzt, erklärt und Guide Marcel Liechtenstein. In
jeder Gondel fährt ein kenntnisreicher Guide mit und erläutert, was da zu
sehen ist. Erstaunlich zu erfahren, dass solche Lianen Jahrhunderte alt
sein können. Vieles im Regenwald erschließt sich dem Besucher nicht auf
den ersten Blick. Das ist ein Manko - aber auch ein Reiz. Gemessen an
einer Safari in der Serengeti, wo Elefanten, Löwen und Zebras auf offener
Savanne vors Objektiv der Touristen laufen, ist der erheblich
artenreichere Regenwald wenig spektakulär. Die Tiere sind kleiner, sie
leben eher versteckt und sie kommen auch nicht in Herden vor, wenn man mal
von den Gruppen der Pekari-Bindenschweine, den Nasenbären und den
Kapuzineraffen absieht, die durchs Gelände der Seilbahn streifen. „Wir
sind kein Zoo und wir haben auch keine Elefanten, warnt der geistige Vater
und Chefwissenschaftler, der Tropenbiologe Dr. Donald Perry Besucher des
Rainforest Aerial Tram Besucher im Informationszentrum der Station. Für
Don Perry ist so eine Fahrt wie ein Besuch in einem der Weltwunder. Er
nennt den Lebensraum zwischen Himmel und Erde „Die hängenden Gärten“. Der
Pionier der Baumkronenforschung hat die Lebensgemeinschaften im Dach des
Waldes anfangs noch auf die gute alte Methode unserer frühen
Primatenvorfahren erkundet. Als Kletterer nämlich. Allerdings gesichert
mit soliden Bergsteiger-Seilen und modernen Greifklammern, die es dem
sportlichen Homo sapiens gestatten, senkrechte Seile bis in 15, 20, 40
Meter Höhe zu erklimmen. „Der Dschungel ist wie der Ozean“, sagt Perry,
„unten am Grund ist kein Licht und wenig Leben. Am meisten zu sehen
bekommen Taucher und Schnorchler in den flachen Wasserschichten, in die
das Sonnenlicht dringt. 40 Meter unterm Wasserspiegel ist es fast genau so
dunkel wie 40 Meter unter den Baumkronen“ Perry und seine Kollegen von der
„Canopy-Research“, die den Urwäldern mit Kränen, Ballons und Zeppelinen
aufs Dach steigen, schätzen, dass mindesten 75 Prozent aller Tier- und
Pflanzenarten des tropischen Regenwaldes oben in den Wipfeln leben. Anders
als diese Pioniere können wir diese unzugängliche Welt regelrecht luxuriös
erfahren. Im gemütlichen Spaziergängertempo von nicht einmal 3 km/h geht
es voran. Immer wenn an der Basisstation neue Passagiere ein- und andere
aussteigen, bleiben alle Gondeln auf der etwa zwei Kilometer langen
Strecke für 3 bis 5 Minuten stehen - solange das eben dauert. Langweilig
wird es hier nicht - dafür gibt es einfach zuviel zu sehen in dieser
Wipfelwelt. Nur fünf Meter neben uns sitzt ein schneeweißer Möwenbussard
und läßt sich nicht die Bohne stören genauso, wie die Tukane, die weiter
hinten in ihre Baumhöhle einfliegen. Schließlich weiss auch er, dass die
Erdenwesen hier oben in seinem Reich nicht aus ihrer Gondel können. So
sind sie außerhalb der Armereichweite keine Bedrohung. Als uns Marcel auf
ein winziges Schlängelchen aufmerksam macht, das getarnt gleich neben uns
in einer Astgabel lauert, sind die Ellenbogen der Passagiere flott von der
lässigen Haltung auf dem Geländer in die Gondel gezogen. Da oben liegt
eine der tödlichsten Schlangen der Region, eine Lanzenotter. in der Nähe
einer Orchideenblüte wartet sie auf einen unvorsichtigen Kolibri, der
irgendwann einmal sicher zum Naschen vorbeischwirren wird. Seit zwei
Wochen liegt sie schon da und wartet auf ihre Gelegenheit. Die Guides
haben vorsorglich ein gelbes Bändchen an den Zweig über der perfekt
getarnten Schlange geknüpft, damit die Besucher sie auf ihrer
Schleichfahrt sehen können. Wir durchstreifen den Urwald in
unterschiedlichen Höhen - mal führt die Trasse knapp überm Boden durchs
Unterholz und einmal 45 Meter über Grund, als wir ein verwunschenes
Tälchen mit einem kleinen Bachlauf überqueren. Hier sind wir mit den
Wipfeln mächtiger breit ausladender Bäume auf einer Höhe. Neben der Lust
am Entdecken einer ganz neuen Dimension überkommt uns auf der Fahrt immer
wieder ein Gefühl, an einem ganz besonderen Ort zu sein. Trotz der vielen
Touristen, die täglich hier herkommen ist es so still und andächtig an
diesem zauberhaften Ort, wie in einer Kathedrale. CMS
Rubrik |
animal.press / Zu 4000 Tierstorys / Reisen zu Tier und Natur / 00973 Regenwaldseilbahn |
Dok. Autor |
(c) animal-press |
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