Wildkatzen in unseren Wäldern ©animal.press
Die Schattenjägerin
Sie steht auf, wenn die Sonne untergeht, wenn es Tag wird verschwindet sie. Und wenn die Kätzin im Frühjahr ihre Jungen betreut, dann wird ihre kleine Familie zum Phantom der Wälder
Von Claus M. Schmidt
Sie ist eine Meisterin der Heimlichkeit. Mischwälder mit dichtem Unterholz sind ihr Revier. Hier verbirgt sich die Wildkatze so gut, dass kaum ein Mensch sie je zu Gesicht bekommt. Und das, obwohl sie gar nicht mehr so selten ist. Wildforscher beziffern ihren Bestand in unserem Land auf 2 000 bis 5 000 Köpfe.
Zwiti: Pirsch auf Zehenspitzen
Zoologisch betrachtet ist die Europäische Wildkatze ein naher Verwandter unserer Hauskatze. Die Katze aus den Wäldern ist etwas molliger als der Stubentiger, ihre Schnurrhaare sind länger und kräftiger. Ein dunkler Aalstrich entlang der Rückenmitte, ein buschiger Schwanz mit vier bis fünf dunklen Ringen und einer schwarzen Spitze sind weitere Merkmale der Wildform. Aber der größte Unterschied liegt im Verhalten: Die Wilde meidet Menschen. Lautlos und tatsächlich auf den Zehenspitzen begibt sie sich auf Pirsch, wenn die Sonne untergeht, und sie sucht die volle Deckung zum Schlaf, wenn wir gerade aufstehen. Nur Förster und Wildforscher wissen überhaupt, ob es Wildkatzen im Revier gibt. Aber selbst sie sind angewiesen auf Spurensuche – das heimliche Schattenwesen entzieht sich allen Blicken. Es verrät sich nur einem kleinen Kreis von Kundigen, die genau wissen, wonach sie zu suchen haben. Mal ist ein Haarbüschel in einer Brombeerhecke hängen geblieben, mal finden sich Kotballen, die Mäusezähne und Mäuseknochen zum Vorschein bringen, wenn man sie zerpliesert.
Allein zur Paarungszeit kann man sie hören. Ab Februar kommt es zu erbitterten Kämpfen, bei denen die Kuder – die wilden Kater - alle Vorsicht außer Acht lassen, wenn sie einander durchs Laub jagen bis sie sich zum Kampf stellen und sich mit heftigem Fauchen die Krallen um die Ohren schlagen. Auch die Kätzin – das ganze übrige Jahr eine Einzelgängerin, wird mit einsetzender Rolligkeit zugänglich.
Zwiti: Katzenliebe als Himmelsmacht
Schon für die Alten Germanen war die Liebe, die so etwas möglich machte, eine Himmelsmacht. Der Wagen ihrer Fruchtbarkeitsgöttin Freya wurde von Wildkatzen übers Himmelsgewölbe gezogen. Die Katzen standen für Kindersegen.
Nach den lebhaften Episoden der Ranzzeit kehrt zu Beginn des Frühjahrs wieder Ruhe ein im Wald. Kätzin und Kuder gehen getrennt ihrer Wege. In den nächsten Wochen verändert sich das Verhalten der Kätzin. Sie streift umher, schaut in jeden Reisighaufen, unter Baumwurzeln, stöbert in verwaisten Karnickel- oder Fuchsbauten und schaut unter Felsvorsprünge. Sie sucht einen sicheren Platz als Wiege und erste Kinderstube für ihren Nachwuchs. Der Platz kann aber noch so gut gewählt und vorbereitet sein - beim geringsten Anzeichen einer Gefahr wird er verlassen und gegen ein neues Lager ersetzt. Es genügt schon, wenn nur ein Fuchs, ein Marder oder ein Wildschwein in der Nähe herum schnüffelt. Die trächtige Kätzin vermeidet jedes Risiko. Denn wenn sie nach einer Tragzeit von 63 bis 69 Tagen ihre drei bis sechs Jungen zur Welt bringt, dann sind die anfangs völlig hilflos, nackt und blind. Erst nach neun bis elf Tagen öffnen sich die Augen. Bis zu einem Alter von sechs Wochen leben die Welpen ausschließlich von Milch – erst dann bringt die Kätzin Beute in die sie erstmals ihre Milchzähne schlagen können.
Zwiti: Strenge Erziehung
Zwar sind ihre Kleinen nun aus dem Gröbsten raus – doch noch immer ist die Kätzin auf dem Sprung – beim geringsten Verdacht, dass die Kinderstube von einem Räuber oder Menschen entdeckt sein könnte, packt sie ihre Babys – eins nach dem anderen – am Schlafittchen und zieht um. Wildkatzen sind strenge Mütter, die nicht viel Spaß verstehen. Ist eines der Welpen zu vorwitzig und neugierig auf die Welt, unternimmt Ausflüge auf eigene Faust, dann schleppt sie es zurück in die Kinderstube und knabbert die Schnurrhaare ein wenig kürzer. Der Verlust dieser Tasthaare, die so wichtig zur Orientierung sind, bremst den Tatendurst eines Kätzchens so lange, bis es zusammen mit der Mama erstmals auf Mäusepirsch geht. Mäuse sind das Täglich Brot für Wildkatzen und auf sie ist der Schattenjäger spezialisiert. Dass die Katzennase weit weniger leistungsfähig ist als die Hundenase spielt da keine Rolle – denn Mäuse riechen nicht. Mit der Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen und jedes Mausetrippeln zu hören ist der Lauerjäger allerdings bestens für seine Aufgaben gewappnet. Am Mauseloch oder einem gut erkennbaren Mäusepfad kauert er sich hin. Kauern, warten, zuschlagen ist das Rezept, das die Jungen von der Mama mit großer Begeisterung und grenzenloser Geduld erlernen. Wie spannend so ein Blick ins Mauseloch für Wildkatzen sein muss, das zeigt sich an der vibrierenden Schwanzspitze. In diesem Punkt sind sich unsere Stubentiger und ihre wilden Vettern aus den Wäldern einig. Die Katze lässt das Mausen nicht.
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animal.press / Zu 4000 Tierstorys / Schmidts Tierleben / Schmidts Tierleben |
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