Wochenstube im Winterwald © animal.press
Andere Tiere des Waldes warten auf das Frühjahr – nur das Schwarzwild bringt seine Jungen mitten in der kältesten Jahreszeit zur Welt. Nestwärme der Familie hilft den Kleinen beim Start ins Leben
Von Claus M. Schmidt
Für etwa acht Tage hat sich die Bache aus dem Kreis ihrer Rotte in den Kessel zurückgezogen. Im Schutz ihres Wochenbetts aus Moos, Gras und Laub hat sie die Frischlinge zur Welt gebracht. Noch sind die Augen der gerade mal eineinhalb Pfund leichten Ferkel geschlossen, noch funktioniert die körpereigene Wärmeregulierung nicht. Alleine wären sie verloren. Dicht an der Mutter, der Bache, halten sie sich warm, und untereinander ist jeder des anderen willkommene Wärmflasche. Kein Blättchen passt zwischen die Mitglieder der Familie. Die biologische Heizung macht es möglich, dass die wärmebedürftigen Schweinchen – in der Regel zwischen drei und acht - in den kältesten Monaten des Jahres, zwischen Dezember und März zur Welt kommen. Reh, Hirsch und andere Tiere des Waldes warten mit der Geburtenplanung bis zum Frühjahr.
Der beste Platz bei eisigen Temperaturen ist mitten drin in der Familie, gewärmt von allen Seiten. Und weil niemand am Rand liegen mag, was sich aber nicht vermeiden lässt, drängelt die kleine Gesellschaft in den kurzen Wachzeiten vor dem nächsten Schläfchen.
Zwiti: Stammplatz an der Milchbar
Und dann gibt es noch einen kritischen Streitpunkt unter Geschwistern. Es geht um die Milch. Eine der zehn Zitzen der Mutter wird für die nächsten vier Wochen in den exklusiven privaten Besitz eines Schweinchens übergehen. Wer sich durchsetzen kann, der erobert die hinterste Zitze. Sie gibt am meisten Milch und nach vorne zu nimmt die Menge ab. Verhaltensforscher haben mit dicken Filzstiften die Reihenfolge an der mütterlichen Milchbar auf den Schweinchen notiert und festgestellt, dass sich die Anordnung der Ferkel in der gesamten Säuglingszeit nicht ändert. Aus menschlicher Sicht ist das nicht sehr fair – denn wer sein Leben als Kleinster oder Letztgeborener antritt, der bekommt weniger Milch, wird langsamer an Gewicht zunehmen und kleiner sein als die Geschwister. Und in der Hierarchie der Wildschweingesellschaft bleibt die an der Milchbar geregelte Rangordnung bestehen. Wer auf einem der guten Plätze gelandet ist, der genießt auch im späteren Leben Privilegien in der Rotte, hat Vortritt beim Futter und bestimmt, wo es lang geht im Wald.
Zwiti: Besuch bei Tanten und Cousinen
Nach etwa einer Woche in der Abgeschiedenheit des Kessels führt die Bache ihre Frischlinge erstmals aus. Sie weichen der Mutter nicht von der Pelle, wenn sie die anderen Mitglieder der Rotte kennenlernen. Es sind allesamt Tanten oder größere Schwestern vom Vorjahr. Dazu kommen Cousins und Cousinen etwa gleicher Größe. Eine Wildschweinrotte ist kein beliebiger Haufen von Zufallsbekanntschaften – sie ist eine Großfamilie. Die Bachen sind in aller Regel Schwestern. Ihr Bund hält lebenslang und er ist so eng, dass man es beim Milchspendieren nicht so genau nimmt. Auch Neffen und Nichten können sich mal bei den Tanten bedienen, wenn sie hungrig sind.
Das Leben der Söhne verläuft total unterschiedlich. Im Alter von etwa einem Jahr werden sie aus der Rotte, in die sie geboren wurden, verstoßen.
Zwiti: Halbstarke Junggesellen werden verbannt
Sie führen dann für einige Monate ein Leben als halbstarke „Überläufer“ in Junggesellentrupps. Mit zunehmender Reife lösen sich diese Trupps auf. Erwachsene Männchen, in der Jägersprache „Keiler“, leben als Einzelgänger. Nur in der Rauschzeit, den Tagen der der Brunft und Paarung im Herbst, suchen sie die Nähe der Weibchenrotten
Und da ist so ein Keiler nicht mehr allein. Anderen Mitbewerbern ist auch der Duft hochläufiger Bachen in die Nase gestiegen und in die Köpfe. Mit wuchtigen Kopfstößen und Schlägen der Hauer gehen die zentnerschweren Tiere aufeinander los bis die Schwarte kracht, bis alle Mitbewerber das Weite gesucht haben und nur noch ein Keiler übrig ist.
Drei Monate, drei Wochen und drei Tage nach der Paarung – so die Faustregel für die Dauer der Tragzeit der Wildschweine – kommen die Frischlinge zur Welt. Die Lebensbedingungen in Deutschland sind günstig. Große Raubtiere, wie Bären oder Wölfe, gibt es nicht oder sie sind selten. Maisfelder, die es überall gibt, gelten als Dorado für die Tiere. Sie bieten Nahrung im Überfluss. Besonders dreiste Wildschweine kommen in Städte, bedienen sich aus Mülltonnen und graben Blumenzwiebeln von Gärten aus. Vor einiger Zeit mussten zwei Wildschweine in Hessen gar aus einem Kino vertrieben werden – vielleicht hatte der Duft von Popcorn die Freunde von frischem Mais dahin gelockt.
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