Tierparadies Pantanal
Krokodile und Formel-Eins-Frösche im Reich der Schwiegermutter / Expedition in das fast unbekannte Tierparadies der Pampas / Im brasilianischen Naturparadies Pantanal findet man alles – nur Stille sucht man hier vergebens / 30 Millionen Kaimane im Pantanal lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Jagd ist verboten. Das hat sich rum gesprochen und so liegen sie einfach da und lassen sich auch fotografieren
Von Claus M. Schmidt
Mit der großen Kelle geht der Koch auf den Piepmatz los. Doch der Rotkopfkardinal ist ein cleveres Bürschchen und kennt das Spiel. Kaum dreht sich der Mann mit der weißen Haube um, flattert der spatzengroße Piepmatz mit seiner roten Haube wieder auf den Rand der Reisschüssel und bedient sich. Die Gäste, die an den Tischen vor der Theke auf ihr Churasco warten freuen sich an dem Schauspiel. Hier, „in the middle of nowhere“, wie es ein amerikanischer Besucher nennt, sind solche Abwechslungen willkommen. Die Schweizer sind ganz begeistert, weil hinter ihrer Klospülung ein Frosch die Resonanz der Keramik nutzt und quakt, als wolle er einen Formel 1 Boliden imitieren. „Ayerton-Frosch“ heißt das stimmgewaltige Fröschlein in Brasilien. Zu Ehren des verunglückten Formel 1 Stars Ayerton Senna.
Es gibt viel zu sehen und zu hören hier in der brasilianischen Pampas, dem Pantanal. Das pfannenplatte Sumpfgebiet, das bis vor 10000 Jahren noch ein riesiger Süßwassersee von der halben Größe Frankreichs war, ist Brasiliens Tierparadies. Wer hier her kommt, will Tiere sehen oder mit Rindern handeln.
Nandus, südamerikanische Straußenvögel, die auf dem Weg vom Flughafen in der Viehzüchterstadt Campo Grande zur Safarilodge „Pousada Caiman“ am Straßenrand futtern werden noch begeistert fotografiert. Bald hat man so viel davon gesehen, das keiner mehr knipst.
In der Höhe des Ortes Miranda kreuzen sich die großen Straßen. 2000 Kilometer geradeaus geht es in die Wälder Amazoniens, wer nach Westen abbiegt, fährt Richtung La Paz in Bolivien und wer hier rechts abbiegt, auf den Feldweg, der kommt zur Pousada Caiman. Einer Muster-Fazienda für 50000 Rinder und 50 Touristen. Der Besitzer hat die Hälfte seines Grundstücks unter persönlichen Naturschutz gestellt und ein Dorado für Naturfreunde geschaffen. Die Rinder haben hier keinen Zutritt. Dafür gibt's hier jede Menge Überraschungen.
Ein neugieriges Pärchen Rotgrüner Aras hatte uns Neuankömmlinge inspizieren wollen und flog so knapp über die Köpfe, dass ich den Luftzug spürte. Doch auch von unten kommen Überraschungen. Nach den ersten Erfahrungen mit Feuerameisen und Sandflöhen an Knöcheln und Beinen sieht es aus, als hätten wir alle eine Marotte: Alle tragen ihre Hose hier in den Socken. Theoretisch kann hier nichts reinkrabbeln. Theoretisch – nach drei Tagen ist alles Fenistil gegen Juckreiz aufgebraucht und wir desinfizieren unsere Stiche mit dem lokalen Hausmittel: Cachaca, starkem Zuckerrohrschnaps.
Die großen Tiere sind hier für Menschen schon wesentlich ungefährlicher. Vom Jaguar findet man höchstens einmal Spuren. Nach Jahrhunderten erbarmungsloser Jagd geht die große Raubkatze Menschen aus dem Weg. Vor seinen Rindern hat sie offenbar keinen Respekt. Unser Guide führt uns zu einem Rind, das in der Nacht zuvor von einem Jaguar geschlagen wurde. Ein Dutzend Rabengeier streitet sich um die Reste.
Auf 32 Millionen Panzerechsen wird der Krokobestand des Pantanal geschätzt. Weltweit die größte Ballung. Krokodile liegen hier wirklich überall rum, manchmal in Massen und manchmal auch als ungewöhnliche Verkehrshindernisse. Quer und mit weit geöffnetem Maul sonnen sie sich mitten auf der Matschpiste vor unserem Minitruck. Und weil sie scheint's genau wissen, dass sie hier unter Naturschutz stehen, gehen sie partout nicht weg bis ein Guide aussteigt und so ein bis zu zwei Meter langes Reptil beherzt mit dem Besen verscheucht. Überhaupt lernt man Krokodile hier von ihrer bequemen, ja fast schon faulen Seite kennen. Am schmalen Auslauf eines Sees liegt so eines mit weit offenem Maul und lässt das Wasser durchströmen. Schwimmt ein Fisch durch, schlägt es die Klappe zu und braucht nur noch zu schlucken. Fische haben hier die A-Karte gezogen. Jeder hat es auf sie abgesehen. Campesinos angeln sie in jeder freien Minute – und es sieht so aus, als ob man hier jede Menge freie Minuten hat.
In der flachen Krautzone des See watet ein Jabiru. Mit fast zwei Metern Höhe der größte aller Störche, ist er das Symboltier des Pantanal. Er späht ins Wasser, stößt mit seinem Riesenschnabel zu und hat einen fetten Aal erwischt. Mit dem Fernglas kann ich sehen, dass der Aal sich im kahlen Kehlsack des Vogels weiter windet. Kein schönes Bild, kein schöner Vogel und sicher ist es auch kein Kompliment, dass der Spitzname für die Schwiegermutter in Brasilien ausgerechnet „Jabiru“ heißt.
Auf Bäumen und Büschen thronen truthahnförmige Trompetervögel, die bei jeder Annäherung ihr unglaublich lautes Organ erklingen lassen.
Ihre Zeit bricht an, wenn die Sonne um 18.00 Uhr versinkt. Dann kommen Eulen und andere Nachtjäger hervor und dann werden Tagvögel, die sich jetzt zum Schlafen niederlassen ihre leichte Beute. Die großen Hyazintharas mit ihren gewaltigen Nussknackerschnäbeln brauchen keine Feinde zu fürchten. 21 zähle ich in einem einzigen Schlafbaum. Und mit lauten Arara Arara begrüßen sie die Nacht. Von einem kleinen Wäldchen in der Nähe kreuzt sich der Schall mit dem Geheul von Brüllaffen, das klingt, als pfeiffe ein tropischer Sturm durchs Blätterdach. Aus jedem Busch dröhnen „Ayerton-Frösche“ um die Wette. Lauter als im nächtlichen Pantanal ist es gewiss nicht an den verkehrsreichsten Plätzen Europas, wo sich die Menschen nach der Stille der Natur sehnen.
Rubrik |
animal.press / Zu 4000 Tierstorys / Schmidts Tierleben / Schmidts Tierleben |
Dok. Autor |
(c) animal-press |
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