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Insel der Sonderlinge

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Insel der Sonderlinge
Insel der Sonderlinge Vorspann Die meisten der Tier- und Pflanzenarten Madagaskars finden sich nur hier und sonst nirgends auf der Welt. Naturfotograf Dale Morris entdeckte eine Insel, die wegen ihrer Fülle einzigartiger Lebensformen unter Zoologen gar als 7. Kontinent gilt. Lauftext Nicht nur für Fotografen wie Dale, sondern auch für Wissenschaftler ist Madagaskar eine Fundgrube. Expeditionen, die genauer hinsehen, stoßen noch heute auf neue, unbekannte Arten von Tieren. Es ist noch nicht lange her, dass Experten der Münchner Zoologischen Staatsammlung mit dem Zwergchamäleon das kleinste Reptil der Erde fanden. Auch der Liste von Lemuren wird fast jährlich erweitert. Seit über 100 Millionen Jahren ist die Tierwelt vom Rest der Welt getrennt. Auch wenn es bis zur afrikanischen Küste an der engsten Stelle nur 400 Kilometer sind, so hat die Evolution auf dem 1500 Kilometer langen Eiland doch ihren ganz eigenen Weg eingeschlagen. Die hiesigen Primaten – allesamt Lemuren oder Halbaffen - haben nicht nur wegen ihrer feuchten „Hundenasen“, sondern auch mit ihrer Sozialstruktur kaum Ähnlichkeiten mit ihren Vettern, den Affen und Menschenaffen in Afrika, Asien und Südamerika. Pantoffelhelden unter Amazonen Sechs Uhr früh im Berenty-Reservat im äußersten Süden von Madagaskar. Ein Trupp von Kattas, zierlichen, kaum fünf Pfund schweren Halbaffen mit schwarzweiß geringelten Schwänzen, genießt die ersten Strahlen der Morgensonne. Mit ausgebreiteten Armen und offenen Händen tanken sie Wärme. An den Fotografen haben sie sich längst gewöhnt. Seit Wochen kommt Dale Morris (40) Tag für Tag her. Die beschauliche Ruhe beim Sonnenbad ist eine Ruhe vor dem Sturm. Denn bereits nach wenigen Minuten blasen die Weibchen zum Aufbruch. Zeit fürs Frühstück auf den nahen Tamarindenbäumen. Da sind sie allerdings nicht die einzigen ... Trupps aus der Nachbarschaft haben das gleiche Ziel. Und man ist sich offenbar nicht grün, geht keinem Streit aus dem Weg. Kämpfen bei den Kattas ist Frauensache, hier halten sich die eher schüchternen Männer zurück. Die Amazonenkämpfe laufen nach ungewöhnlichen Regeln ab. Meist in Form von ebenso ausgiebigen wie unappetitlichen „Stinkkämpfen“. Ein hässliches aber durchaus zutreffendes Wort für den Kampf ums Dschungel-Buffet. Damit bezeichnen Zoologen das Verhalten der Halbaffen, ihren buschigen Schwanz zwischen einer Reihe übler Duftdrüsen auf der Innenseite ihrer Unterarme durchzuziehen. Mit der von Sekret getränkten Flagge wedeln sie dann den Gestank durch die Luft. Ein Geruch, der sogar Menschen nicht entgehen kann. Obwohl unser Riechorgan nicht eben besonders empfindlich ist. Kattas dagegen tragen wie alle Lemuren eine feuchte „Hundenase“ mit allerfeinsten Riechorganen im Gesicht. Für sie dürfte der Wink mit der Duftwolke nicht zu „überriechen“ sein: Bis hierher und nicht weiter! Wird der Hinweis missachtet, setzen die wehrhaften Weibchen Krallen, Zähne und ein ohrenbetäubendes Gekreisch ein. Männchen halten sich aus diesen Kämpfen fein raus. Sie spielen in der von Weibchen dominierten Gesellschaft der Kattas nur eine untergeordnete Rolle. Das Berenty-Reservat ist ideal für Beobachtungen und zum Fotografieren. Die Tiere hier zeigen keinerlei Scheu, da sie seit Generationen Schutz genießen und nicht von Menschen verfolgt werden. Sonderweg der Evolution Die rund 100 verschiedenen Arten von Lemuren auf der Insel, sind endemisch. Das heißt sie kommen nirgendwo sonst vor. Die Lemuren – benannt nach den spukenden Nachtgespenstern des alten Rom – haben eine gigantische Formenfülle entwickelt. Sie passten sich an und konnten die unterschiedlichsten ökologischen Nischen besetzen. Eine Auffächerung, die in der Zoologie als adaptive Radiation bezeichnet wird. Und die Lemuren sind geradezu Musterbeispiele dafür, wie Arten sich ändern und anpassen. Einige sind tag- andere nachtaktiv. Da gibt es Blätterfresser wie den Coquerel-Sifaka, Früchtefresser wie den Katta, Insektenjäger wie den gerade mal 50 Gramm leichten Mausmaki. Heuschrecken, Gottesanbeterinnen, Vogelküken und kleine Geckos stehen auf seiner Speisekarte. Die Begegnung mit einem der größten Schmetterling, dem Kometenfalter mit seiner Flügelspannweite von 20 Zentimetern, dürfte dem kleinsten aller Primaten allerdings den Appetit verderben. Am oberen Ende der Größentabelle der Halbaffen-Sippe Madagaskars steht ein vor 500 Jahren ausgestorbener Riesenlemur. Mit 200 Kilogramm Gewicht besetzte er die ökologische Nische, die auf dem afrikanischen Festland der Gorilla innehält. Ebenso wie auf Madagaskar Antilopen, Zebras oder andere Huftiere fehlen, so gibt es dort auch keine großen Raubkatzen wie Löwe oder Leopard. Die Rolle der landbewohnenden Raubtiere hat hier die Fossa-oder Frettkatze übernommen. Mit 8 bis 12 Kilogramm Gewicht ist diese überaus wendige Kletterkünstlerin spezialisiert auf die Jagd nach Lemuren. Die machen 50 Prozent ihrer Beute aus. Daneben bedient sie sich aber auch opportunistisch an Vögeln, Echsen und kleinen Säugern. Trotz des Namens Frettkatze zählt die Fossa nicht zur Katzensippe – vielmehr bildet sie die eigene, nur auf Madagaskar vertretene zoologische Gattung. Vom Verschwinden der Riesen In den verschiedenen Lebensräumen von Regenwäldern, über Savannen, bis zu Halbwüsten, finden sich nicht weniger als 260 Vogelarten. Auch wenn das Meer für Vögel kein unüberwindbares Hindernis bedeutet, so ist doch beinahe jeder zweite Brutvogel der Insel endemisch. Wie der mit unseren unscheinbaren Spatzen verwandte Helmvanga mit seinem markanten blauen Nußknackerschnabel. Unter den gefiederten Sonderlingen der Insel gab es auch einen wahren Riesen, der den Strauß in den Schatten stellen konnte. Der legendäre Elefantenvogel, den Marco Polo als den sagenhaften „Vogel Rock“ beschrieb, brachte es auf eine Höhe von 300 Zentimeter und ein Gewicht von 400 bis 500 Kilogramm. Doch der flugunfähige Riesenvogel war ebenso wie der gigantische Lemur leichte Beute für die Menschen, die vor rund 1200 Jahren das Eiland entdeckten und besiedelten. Damit begann ein fataler Schritt für die Tierwelt. Zeigen doch angekohlte Knochenfunde an Feuerstellen und aufgebrochene Eierschalten des Vogels Rock, dass Menschen sich an dieser natürlichen Ressource bedienten bis der letzte seiner Art im Kochtopf gelandet war. Im 17. Jahrhundert wurde der legendäre Vogel Rock zum letzten Mal gesehen. Weitere Arten starben im Laufe der Jahrhunderte wegen Bejagung und Zerstörung ihrer Lebensräume aus. Manche hatten das Glück „Fady“ zu sein, was auf madegassisch Tabu bedeutet. Sie waren damit unantastbar und geschützt. Lebendige Urzeit Eine große Tiergruppe hat sich allerdings aus den Zeiten der Dinosaurier erhalten können. Es sind die Nachkommen der Reptilien, die auf dem Urkontinent Gondwana ihre Blütezeit hatten. Als Madagaskar vor 120 Millionen Jahren von dem Urkontinent abbrach und davon driftete, waren Schildkröten und Krokodile, wie sie sich in ähnlicher Form in Afrika, Australien und dem Indischen Kontinent finden auch auf dieser Scholle vertreten. So reicht der Stammbaum der endemischen Strahlenschildkröte, die in Trockenregionen der Insel lebt, bis auf den Urkontinent zurück. Während Schildkröten und Krokodile sich über die Jahrmillionen als recht konservativ und formstabil erwiesen, verlief die Entwicklung bei „Minisauriern“ wie Geckos und Chamäleons in der isolierten Insellage in alle Richtungen. Wie bei den Lemuren entwickelten sie eine Fülle von Formen, besetzen sie die verschiedensten Nischen. Und zum Glück für Fotografen wie Dale Morris sind Chamäleons auf Madagaskar „Fady“.und willkommen in Gärten und Häusern der Menschen. Sorgen sie doch mit ihren genialen Schleuderzungen als biologische Schädlingsbekämpfer dafür, dass stechende und lästige Insekten nicht überhand nehmen. Für Aufnahmen von größeren Arten, wie dem farbenprächtigen bis zu 50 Zentimeter langen Pantherchamäleon braucht man nicht erst weit in die Wälder zu ziehen. Schwieriger wird da schon die Suche nach Minis, wie dem Zwergchamäleon, das über Jahrhunderte verborgen im Dunkel einer welken Laubschicht mikroskopisch winzigen Milben und Spinnen nachstellt.

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